Im Interview berichtet Denise Grduszak, Projektmanagerin Weiterbildungsverbund „Media Collective, über 3 Jahre Verbundarbeit, wie es zur bundesweiten Ausweitung der Verbundstrukturen kam und welche Transfer- und Verstetigungsvorhaben jetzt für den Verbund anstehen.
Liebe Frau Grduszak, schön, dass Sie Zeit für uns haben!
Ihr Weiterbildungsverbund endet nun nach 3 Projektjahren im Juli 2024. Welche Verbundpartner sind denn im WBV „Media Collective“ zusammengekommen und mit welchen Ideen und Zielsetzungen sind Sie in das Projekt gestartet?
Unsere Aufgabe war es zunächst, in der Region Berlin-Brandenburg eine Bestandsaufnahme der Weiterbildungsbedarfe und -angebote vorzunehmen und mit den Partnern vor Ort notwendige Anpassungen zu evaluieren. Dazu sollten die Sichtbarkeit und Vielfalt von Weiterbildungsangeboten in der Bewegtbildbranche erhöht und bestehende Angebote verbessert werden. Dabei war uns von Beginn an eine enge Kooperation und Zusammenarbeit mit Unternehmen wichtig. Wir, das Erich-Pommer-Institut (EPI), arbeiteten mit Verbundpartnern wie der Filmuniversität Babelsberg, dem Institut für Schauspiel, Film und Fernsehberufe (ISFF), Produktionsfirmen (UFA, RBB, Netflix), der Agentur für Arbeit, Ministerien, der Industrie und Handelskammer sowie der Wirtschaftsförderung zusammen.
Bei der Evaluierung der Weiterbildungsangebote haben wir dann rasch festgestellt, dass es in der Branche einen recht hohen Bedarf gab und gibt. Teilweise sind das Bedarfe, die wir am EPI abdecken konnten. Teilweise haben wir aber auch in einem ersten Schritt die bestehenden Angebote angepasst und gemeinsam mit den Unternehmen neu gedacht. So ist zum Beispiel ein Weiterbildungsangebot im Bereich Filmgeschäftsführung entstanden, welches erfolgreich bei der UFA, bei Netflix und Amazon umgesetzt wird. Für diese Arbeit war der Aufbau und die Pflege des regionalen Netzwerkes essenziell.
Ebenso haben wir als unmittelbares Ergebnis aus der Arbeit im WBV mit der Media Academy Berlin-Brandenburg ein Quer- und Wiedereinstiegsprogramm konzipiert und umgesetzt. Gemeinsam mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg, den Ländern Berlin und Brandenburg und natürlich den Unternehmen vor Ort haben wir hier, wie ich finde, ein starkes und kompetenzorientiertes Angebot geschaffen, um besonders jungen Menschen, die sich für die Arbeit in der Bewegtbildbranche interessieren, einen Einstieg zu ermöglichen.
Mit der Produzentenallianz Initiative für Qualifikation (PAIQ) hatten wir einen wichtigen Partner in unserem Verbund, mit dem wir schließlich auch ein Verstetigungs- und Transferkonzept zu Media Collective umsetzen. Aber dazu später noch etwas mehr.
Aus dem regionalen Branchenbezug Berlin-Brandenburg wurde im Projektverlauf dann ein bundesweiter: Nach unserer ersten Studie in 2022: „Fachkräfte- und Weiterbildungsbedarfe im Produktions- und Postproduktionssektor“ ist eine große Senderinitiative auf uns aufmerksam geworden und hat uns gefragt, ob wir als Weiterbildungsverbund und mit unserem Wissen nicht Interesse hätten, einen bundesweiten Arbeitskreis aufzusetzen. Das Problem des Fachkräftemangels in der Branche besteht schließlich nicht nur regional. Mit der Koordination des „Arbeitskreis Fachkräfte-Strategie Film- und TV“ hat unser Weiterbildungsverbund schließlich zu Beginn des letzten Jahres sein Partnernetzwerk noch einmal vergrößert. Besonders aus den Bereichen Landesfilmförderung, Berufsverbände, Weiterbildungsanbieter und Unternehmen kommen hier bundesweite Akteure der Branche zusammen, um gemeinsam eine Fachkräftestrategie zu entwickeln.
Das sind spannende Entwicklungen! Sie haben bereits die Ausgangsstudie Ihr Verbundes aus dem Jahr 2022 erwähnt. Da diese offensichtlich eine Initialzündung für Ihren Verbund war, würden wir gerne noch einmal einen Blick darauf werfen: In der Befragung von 414 Filmschaffenden kamen Sie unter anderem zu dem Ergebnis, dass ein strukturiertes Qualifizierungskonzept mit Kompetenzdefinitionen für alle Gewerke in dieser Branche fehlt. Wie sind Sie mit dieser Erkenntnis umgegangen bzw. welche weiteren Maßnahmen haben Sie daraus abgeleitet?
Solche Studien sind natürlich immer zunächst sehr nützlich, um den Unternehmen und den Beschäftigten aufzuzeigen, dass wir (als Beschäftigte und Unternehmen) hier erstmal an eine Grenze stoßen, die dringend Handlungsbedarf erfordert. Was unsere Befragung sehr schnell deutlich gemacht hat: besonders in zentralen Gewerken wie Filmgeschäftsführung, Aufnahmeleitung oder auch Kameraassistenz fehlen geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Diese gefragten Berufsbilder werden selten ausgebildet. Klar, man kann Film oder Produktion an der Uni studieren. Aber viele, die dann frisch aus dem Hörsaal kommen, konnten nur wenige praktische Erfahrungen beim Film sammeln. Zu den 414 Filmschaffenden kamen auch 100 Unternehmen, die wir befragt haben. Eine Kernerkenntnis der Studie gerade bei diesen befragten Unternehmen war: Es braucht einen guten, einen begleiteten Einstieg mit einer strukturierten und parallellaufenden Qualifizierung. Die Branche braucht den Quereinstieg, sie ist darauf angewiesen. Und das nicht nur aus der Not heraus, sondern weil hier immer wieder sinnvolle Synergien entstehen. Eine gelernte Steuerfachangestellte beispielsweise ist mit ihren Kenntnissen bestens in der Filmproduktion aufgehoben und das Erlernen filmspezifischer Fähigkeiten in diesem Bereich, das haben wir am EPI oft beobachtet, ist auf dieser Ausbildungsbasis sehr erfolgreich. Das war für uns die Ausgangslage: zu überlegen, wie solche Weiterbildungs- und Qualifizierungskonzepte aussehen könnten und was dafür notwendig ist. Auf Grundlage der Befragungsergebnisse haben wir uns als WBV „Media Collective“ auch damit beschäftigt, wie wir Fortbildungsprüfungen so gestalten können, dass die Beschäftigten mit eingebunden sind. Mittelfristiges Ziel war es, Wege zu finden, die entstandenen Kompetenzmatrizen – also Modelle, mit der Hilfe Kompetenzen einem bestimmten Anforderungsniveau zugeordnet werden können – so miteinander zu verknüpfen, dass man mit einer Grundausbildung in alle Bereiche der Bewegtbildproduktion einzutauchen und sich anschließend durch spezielle Kurse weiterqualifizieren kann.
Wir haben also Handlungsbedarf festgestellt und basierend auf diesen Kompetenzmatrizen Angebote entwickelt sowie Handlungsempfehlungen formuliert. Dabei haben wir auch ein wenig langfristige Planung betrieben. Aus dieser Logik heraus lässt sich auch die Genese des Arbeitskreises mit seinen jetzigen Aufgaben verstehen.
Die gewonnen Erkenntnissen unserer ersten Studie sind auch unmittelbar in die Konzeption und Gründung der bereits erwähnten Media Academy eingeflossen, die den kurz- bis mittelfristigen Qualifizierungsbedarf abdecken kann. Denn wir stehen – und darauf gehen sicherlich auch mögliche kommende Studien des Arbeitskreises ein – vor massiven demografischen Herausforderungen in der gesamten Branche. Daher ist es wichtig, jetzt eine kurzfristige Lösung zu haben, aber gleichzeitig an einer langfristigen Strategie zu arbeiten, damit wir in 10 Jahren nicht dastehen und uns fragen, wo der Nachwuchs geblieben ist.
Nun haben Sie mit dem Arbeitskreis Fachkräfte-Strategie Film- und TV und unter Koordination des WBV „Media Collective“ eine weitere Studie veröffentlicht: „Die Weiterbildungsaktivitäten der Beschäftigten in der deutschen Film-, Fernseh- und Streamingproduktion zwischen September 2022 und September 2023“, in der Sie über 2500 Beschäftigte der Branche erreichen konnten. Darin zeigen Sie auch auf, dass die Weiterbildungsbeteiligung in der Branche um 30% unter dem bundesdeutschen Durchschnitt der Weiterbildungsaktivitäten liegt, die das BMBF im Rahmen des Adult Education Survey (AES) für das Jahr 2022 veröffentlich hat. Können Sie Gründe für diesen eklatanten Unterschied nennen? Und was ist aus Ihrer Sicht auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite zu tun?
Um dies einzuordnen, vielleicht zunächst eine methodische Anmerkung: Unsere erste Studie 2022 fiel in die Zeit der postpandemischen Produktionshochphase. Viele Beschäftigte (71% der Befragten) gaben hier an, dass das gestiegene Produktionsvolumen ursächlich für die vakanten Stellen bei den auf Produktionsdauer Beschäftigten und Selbstständigen ist. In Bezug auf die aktuelle Studie und deren Befragungszeitraum ergibt sich daraus natürlich eine methodische Tücke und der Vergleich zwischen den Jahren 2022 und 2023 gestaltet sich etwas schwierig. Allerdings können wir schon klare Tendenzen über die letzten Jahre hinweg identifizieren. Neben den im Branchenvergleich unterdurchschnittlichen Weiterbildungsaktivitäten finde ich es an dieser Studie besonders bemerkenswert, dass über 30% der bundesweit Befragten angeben, dass es für ihren Tätigkeitsbereich keine Weiterbildung gibt. In Kombination mit der Aussage: Es gibt keine Weiterbildung für mein Department an meinem Standort, erhöht sich diese Anzahl auf 50%. Das ist eine unfassbare Zahl, finde ich. Ein Grund dafür liegt in der Branche selbst: Die Film- und Produktionsgewerke sind durch Soloselbstständigkeit geprägt und betriebliche Weiterbildungen finden hier grundsätzlich weniger statt als in anderen Branchen. Wir am EPI, also angebotsseitig, haben unseren Fokus auf Medienrecht und Medienwirtschaft und wir bearbeiten unsere Spezialgebiete, die wir als An-Institut der Filmuniversität gut bedienen können. Das deckt aber natürlich nicht alle Weiterbildungsbedarfe der Branche ab. Daraus und von der aktuellen Studie ausgehend ergibt sich für uns nun die Frage: Sind die Weiterbildungsangebote tatsächlich nicht vorhanden? Oder möglicherweise für die entsprechenden Zielgruppen nicht sichtbar? Um das herauszufinden, ist es natürlich auch wichtig zu identifizieren, wo die Gelder für etwaige Qualifizierungsangebote in der Branche herkommen. In diesem Spannungsfeld erarbeiten wir gemeinsam mit dem Arbeitskreis Anschlussstudien, Handlungsempfehlungen und Lösungen..
Das Projekt ist zu Ende, aber die Herausforderungen in der Filmbranche bestehen weiter. Wie kann das, was durch die Verbundarbeit in Bewegung gesetzt und erarbeitet wurde, weitergeführt werden?
Das A und O ist, dass wir den bundesweiten Arbeitskreis erhalten und hier zu überregionalen Ergebnissen kommen, die wiederum Aktivitäten in den Regionen ermöglichen. Es gibt bereits erste Gespräche mit der Region Mitteldeutschland, insbesondere mit der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) sowie dem MDR als regionalem Sender. Gemeinsam mit diesen Partnern und weiteren Unternehmen, vor allem kleinen und Kleinstunternehmen in Mitteldeutschland, möchten wir im nächsten Schritt unsere erarbeiteten Kompetenzmatrizen erproben und diese Ergebnisse im bundesweiten Kontext spiegeln Eine zentrale Erkenntnis der Arbeit im WBV „Media Collective“ war für uns, dass wir die Bedarfe und Angebote immer im bundesweiten Kontext denken müssen, da die Branche sehr mobil ist. Dafür ist das Netzwerk des Arbeitskreises ein äußerst wertvolles Austauschorgan.
Wir befinden uns gerade in der Transferphase des Projektes und hatten im Juni eine sehr schöne Veranstaltung mit allen Partnern aus dem WBV, wo sich auch alle aus dem Netzwerk dafür ausgesprochen haben, weiter zusammenarbeiten zu wollen – im Zweifel zunächst auch ohne Förderung.
Hinzu kommt, dass wir die Arbeit des Arbeitskreises verstetigen konnten. Aktuell befinden wir uns gemeinsam mit der PAIQ in der Antragsphase des Programms „Wandel der Arbeit sozialpartnerschaftlich gestalten: weiter bilden und Gleichstellung fördern“ der ESF- Sozialpartnerrichtlinie und unsere Interessenbekundung wurde positiv votiert. Das ist ein tolles Signal für uns und gibt uns eine Perspektive, die drei Kernthemen des Arbeitskreises, Daten erheben, Grundlagen schaffen und Finanzierungswege sichtbar machen, auszubauen und fortzuführen. Und letztlich ist das ja auch unserem Ziel gerecht geworden, die wertvollen Erkenntnisse aus der Arbeit im WBV „Media Collective“ weiterzutragen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Grduszak!
Die Studien zum nachlesen finden Sie hier:
Bundesweite Umfrage zur Fachkräfte- und Weiterbildungssituation (2022)
https://www.epi.media/download.855857bdcb0b2df62e2a05ff32164724_1/
Studie zur Beschäftigungslage in der Film- und TV-Produktion 2022-2024 (2023)
https://www.epi.media/download.571c07640b352845a81dbfd01ff07594_1/
Pilotstudie zu den Weiterbildungsaktivitäten in der Film- und TV-Produktion 2022-2023 (2024)
https://www.epi.media/download.31b6064efaed90454470099f2e9f9e1e_1/
Quelle Titelbild: guruXOOX/Getty Images Edit: Vivienne Hettig