Im Dialog mit…
… Sabine Frykmer, Projektmanagerin Strategie und Projektentwicklung, Hamburg Centre of Aviation Training-Lab (HCAT+) e.V., zum Weiterbildungsverbund Qblue, der auf die Luftfahrtbranche spezialisiert ist. Er ist regional in der Metropolregion Hamburg verankert. Der Verbund kooperiert mit zwei Partnerorganisationen: Hamburg Aviation e. V. als lokale Clusterorganisation und Dach der Hamburger Luftfahrt-Community und Hanse Aerospace e. V., dem Verband der norddeutschen Zulieferer- und Dienstleistungsbetriebe Luftfahrt.
Von wem ging die Initiative für Ihren Weiterbildungsverbund aus und welchen Handlungsbedarf haben Sie gesehen?
Die ursprüngliche Idee entstand aus der Branche heraus. Lokal agierende Akteure der Luftfahrtindustrie traten an die Clusterorganisation Hamburg Aviation e. V. heran, mit dem Wunsch gemeinsam etwas für die Nachwuchs- und Fachkräftesicherung zu tun. Wir sind als Dreier-Verbund an den Start gegangen, wobei wir als HCAT+ die Konsortialführerschaft übernommen und primär bildungsrelevante Netzwerkkompetenzen und -akteure ins Projekt hineingetragen haben. Als dann die Förderrichtlinie „Aufbau von Weiterbildungsverbünden“ veröffentlicht wurde, haben wir darin eine Chance gesehen, unser Thema in Angriff zu nehmen.
Gemeinsam mit den anderen Initiator:innen haben wir erste Ideen entwickelt und standen in den Startlöchern zur Umsetzung. Als die Förderrichtlinie „Aufbau von Weiterbildungsverbünden“ veröffentlicht wurde, haben wir darin eine Chance gesehen, unser Thema in Angriff zu nehmen und bereits entwickelte Ideen für eine zukunftsorientierte Weiterbildung von Facharbeitenden als Maßnahme zur Sicherung des Fachkräftebedarfs umzusetzen. Wir haben uns dabei primär zum Ziel gesetzt, die KMU der Hamburger Luftfahrt mit unserem Projekt zu stärken und Lösungen zu entwickeln, die vor allem Weiterbildungsbedarfe im Mittelstand nachhaltig und bedarfsgerecht decken. Im Speziellen ging es dabei um den Lernbedarf von gewerblich-technische Facharbeitenden, denn bereits vor der Pandemie war abzusehen, dass dort ein überproportionaler Anstieg in den kommenden Jahren zu erwarten ist. Neutrale Verbindungen zwischen den Konzernen und Zuliefererbetrieben zu schaffen und den Wissensaustausch sowie Akzeptanz zu stärken, haben wir als eine weitere wichtige Aufgabe angesehen, denn die gegenseitige Abhängigkeit ist groß.
Wie haben Sie es trotz den Herausforderungen durch die Pandemie geschafft, mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen?
Wir mussten den Projektplan etwas umstellen, als wir im März 2021 gestartet sind. Von Vorteil war, dass dieser von Beginn an so aufgebaut war, dass wir agil handlungsfähig bleiben können. Bei den Unternehmen haben wir zu Projektbeginn eigentlich keinen Fuß in die Tür bekommen und digitale Formate haben nicht die erhoffte Wirkung gebracht. Letztlich waren es doch die persönlichen Treffen vor Ort, die den Netzwerkaufbau und die Sensibilisierung der Unternehmensvertreter*innen vorangebracht haben. Und oftmals hat ein Termin allein nicht gereicht, sondern wir waren zweimal und dreimal vor Ort. Jedoch konnten wir dadurch enge Beziehungen aufbauen, die auch heute noch Bestand haben.
Ein guter Türöffner waren auch unsere Unternehmensreisen, bei denen wir gebündelt als Team mehrere Unternehmen an einem Tag besucht haben. Wir haben das Unternehmen kennengelernt und verschiedene Mitarbeitende getroffen. Ganz nebenbei kamen wir dann in den Austausch zu Qualifizierungs- und Fachkräftethemen. Darüber hat sich ganz schnell herausgestellt, dass es durchaus Lernbedarf und Herausforderungen in der Deckung des Fachkräftebedarfs gibt. Oftmals war es nur der erste Schritt, der der größte war, um sich dem Thema anzunähernn. Hier konnten wir Unterstützung leisten und haben auch für ein stärkeres Engagement in Netzwerken motiviert.
Wie sind Sie bei der Ermittlung der Lernbedarfe der Facharbeitenden vorgegangen?
Hierfür haben wir einen partizipativen und interdisziplinären Ansatz gewählt. In „Stakeholderworkshops“, haben wir mit Geschäftsführenden über die Arbeit der gewerblich-technischen Facharbeitenden diskutiert. Die stetige Reflexion mit den Entscheidungsträger:innen schaffte Verständnis und Akzeptanz. Zudem sehen wir es als prototypischen Prozess, der in jedem Unternehmen und Netzwerk immer wieder so angewendet und umgesetzt werden könnte. Neben solchen Formaten haben wir Facharbeitende an ihren Arbeitsplätzen besucht und begleitend Gespräche geführt, um mehr über ihre Interessen und Tätigkeiten im Arbeitsalltag zu erfahren.
Die Ergebnisse haben wir anonymisiert aufbereitet, in Workshops reflektiert, daraus konkrete Weiterbildungsmaßnahmen abgeleitet und in vier Arbeitsgruppen umgesetzt. Im Mittelpunkt standen Themen wie Wissensmanagement oder die attraktive Gestaltung von Pflichtschulungen. Außerdem gab es Bedarf am Thema Führungskräfteentwicklung. Die Förderung von Führungskompetenzen aufzugreifen war wichtig, da die Führungskräfte in KMU, die Teamleiter:innen, Werkstattleiter:innen, Produktionsleiter:innen etc., oftmals in ihre Aufgabe mehr oder weniger unvorbereitet „hineingerutscht“ sind.
Aus der Bedarfsanalyse sind luftfahrtspezifische Schulungen und Lernmodule für die Qualifizierung von branchenfremden Facharbeitenden entstanden, da i.d.R. in Zulieferbetrieben nicht die klassischen luftfahrtspezifischen Ausbildungsberufe vorzufinden sind. Dort gibt es keine Fluggerätemechaniker:innen oder Fluggeräteelektroniker:innen, sondern eher Tischler:innen, Schweißer:innen, Elektriker:innen und Kfz-Mechatroniker:innen oder Fachkräfte mit einer metallverarbeitenden Ausbildung. Die Aufgaben in der Zuliefererindustrie sind sehr divers mit einer hohen Spezialisierung. Aber auch Digitalisierung, einzelne Tools und Themen der strategischen Personalentwicklung spielten eine wichtige Rolle.
Es haben sich Bildungsträger und Unternehmensvertreter*innen zusammengesetzt, um passgenaue Inhalte zusammenzustellen, stets unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Befragungsprozess: wie muss Lernen gestaltet sein, damit es nachhaltig wirken kann und motiviert? Es muss wirklich bedarfsorientiert, praxisnah und nicht zu groß sein, um die Unternehmen mitnehmen zu können. Letztlich ist es wichtig die Sprache der Unternehmen zu verstehen und zu sprechen.
Wie werden Weiterbildungen nachgefragt, die über Pflichtschulungen hinaus gehen und gab es bei Ihnen dafür konkrete Ansätze?
Bei den Pflichtschulungen brauchen Unternehmen eigentlich keine Unterstützung. Es gibt Auflagen, welche Zertifikate und Kompetenzen vorliegen müssen und in welchen Zyklen nachgeschult werden muss. Mit Qblue setzen wir da an, wo Unternehmen alleine nicht oder nur schwer allein weiterkommen. Dafür mussten wir erst einmal herausfinden, welche Themen und Bereiche das sind. Auf Basis der im Projektverlauf gewonnenen Erkenntnisse fokussierten wir unsere Aktivitäten auf die Motivation, sich mehr mit Wissenstransferthemen auseinanderzusetzen. Wir haben Prozesse erprobt, die sich auch ohne Unterstützung ins Unternehmen implementieren lassen.
Aus den Erkenntnissen unserer Bedarfsanalysen haben wir angefangen, statt großer Netzwerktreffen kleine Formate zu entwickeln. Zum einen gab es Austausch- und Arbeitsformate als Workshops mit verschiedenen Akteuren, an denen vor allem Entscheidungsträger*innen aus Unternehmen, von Bildungsträgern und auch der Arbeitsagentur bzw. dem Arbeitgeber-Service teilgenommen haben. Hierbei ging es darum Wissen zu teilen und neues Wissen mitzunehmen und über ein Fachthema zu diskutieren, das die Teilnehmenden selbst bewegt, welches sie selbst mitbestimmen können und in ihre eigene Arbeitswelt transferieren können. Zum anderen hatten wir fachspezifische Formate, die implizites Lernen bei gewerblich-technischen Facharbeitenden fördern sollten. Ein Beispiel ist die Kooperation mit dem Open Lab Mobile, ein mobiler Truck mit neuen Technologien, der Lernen in den Arbeitsalltag bestmöglich integriert bzw. Lernen am Arbeitsplatz durch bedarfsgerechte Lernnuggets fördert. Mit diesem mobilen Truck konnten wir auch unternehmensübergreifendes Lernen erproben. Der Truck hat bei einem Unternehmen Halt gemacht und interessierte Fachkräfte aus drei umliegenden Firmen, haben sich als Lerngruppe zusammengefunden.
Was hat Ihre Verbundarbeit konkret bewirkt?
Worin die Partnerunternehmen und -institutionen durch unsere Verbundarbeit einen echten Mehrwert erkennen, ist die Möglichkeit über den Tellerrand zu blicken, gemeinschaftlich an etwas zu arbeiten, Wissen zu teilen und zu sehen, dass man nicht allein mit seinen Herausforderungen ist. Zudem hat der unternehmensübergreifende Austausch die Teilnehmenden erfahren lassen, dass es nicht „gefährlich“ ist, sich mit Marktbegleitern zusammen an einem Tisch zu sitzen. Mögliche Konkurrenz- und Wettbewerbsgedanken konnten wir ein Stück weit bei allen Akteuren durch den Austausch zwischen Bildungsträgern und Unternehmen aufbrechen, was u.a. zu mehr Verständnis für- und untereinander geführt hat. Unsere Neutralität war dabei ein wichtiger Vertrauensfaktor und es sind neue wertvolle Kontakte und Verbindungen entstanden. So auch im Qualitätsdialog Luftfahrt, ein Netzwerk aus verschiedenen Stakeholdern und Unternehmensvertreter*innen. Dieses ist mit dem Ziel entstanden, über konkrete Projekte und Austausch die Qualitätssicherung entlang der gesamten Supply Chain zu stärken. Entstanden ist das Netzwerk auf Initiative eines Konzerns. Hier wurde ein Mehrwert in unserer neutralen Rolle gesehen, die eine Grundlage bilden kann, um die Lieferkette an einen Tisch zu bekommen, gemeinschaftlich Prozesse anzustoßen und den Dialog zu fördern.
Welchen Vorteil hatte es aus Ihrer Sicht, den Weiterbildungsverbund branchenbezogen aufzustellen?
Zu Beginn des Projektes habe ich mich oft über den engen Zielgruppenfokus geärgert, weil wir in der Pandemie zunächst nicht vorangekommen sind. Da waren andere branchenübergreifende Weiterbildungsverbünde weiter. Inzwischen schätze ich den Zielgruppenfokus sehr. Wir konnten gezielter arbeiten und relativ einfach einen Transfer untereinander herstellen, die Netzwerkpartner „Luftfahrt“ hatten eine gemeinsame inhaltliche Basis, dieselben oder ähnliche Themen und Herausforderungen. Da wir im Projektverlauf jedoch schnell gesehen haben, dass andere Branchen am Standort ähnliche Bedarfe haben, war es unser Anspruch, Prozesse und Maßnahmen so aufzubauen und zu strukturieren, dass sie jederzeit auf andere Branchen und Regionen übertragen werden können.
Der WBV hat in moderierender Rolle Anbietende und Nutzende zusammengebracht, wodurch Lernbedarfe und Umsetzungsalternativen parallel diskutiert und vorangetrieben wurden. Auch Kontakte zur Arbeitsagentur waren nützlich, um Fördermöglichkeiten zu prüfen. Zudem lag uns als Koordinator im Verbund viel daran die neuen Bildungsmaßnahmen so anzulegen, dass die Erkenntnisse aus dem Befragungsprozess Beachtung fanden und in die Ausgestaltung einfließen.
Was sind zentrale Ergebnisse Ihres Verbundes und was die größten Learnings?
Für die Unterstützung der Unternehmen haben wir mehrere Ansätze stetig weiterentwickelt. Die aufgebaute Weiterbildungsberatung ist als Service- und Beratungsstelle beim Verbundpartner Hanse-Aerospace angesiedelt. Auch nach Projektende sollen neutrale Beratungen stattfinden, um fehlende zeitliche und fachliche Kapazitäten seitens der KMU zu kompensieren.
Wichtig ist es, die Sprache der KMU zu verstehen und zu sprechen. Die Förderrichtlinie gibt Schlagworte vor wie Transformation, KI, Digitalisierung, aber das haben wir schnell aus unserem Sprachgebrauch gestrichen. Das heißt nicht, dass wir in den Bereichen nichts gemacht haben. Im Gegenteil: Im Projekt ist eine zukunftsweisende Lernplattform auf Basis einer KI-Technologie und eines Kompetenzmodells entstanden, das individuelle Lernpfade aufzeigt. Die Plattform „WEITERKOMMEN“ wurde unter stetiger Rückkopplung mit KMU, Facharbeitenden und Bildungsträgern entwickelt und gewährleistet so eine enge Anbindung an die realen Bedarfe. Das Qblue-Kompetenzmodell besteht derzeit aus 11 Kompetenzgruppen, ca. 150 Kompetenzen und mehr als 600 Handlungsankern, die alle miteinander verbunden sind. Wir sehen hier bereits vielfältige Anwendungsfelder für die Personen, die sich mit strategischer Personalentwicklung befassen. Die modularisierte IT-Infrastruktur ermöglicht zudem eine Individualisierung, die wegen der hohen Spezialisierung in der Zuliefererindustrie wichtig ist.
Klar definierte Aufgabenpakete und Zuständigkeiten unter den Verbundpartnern ist eine wichtige Voraussetzung, um agil und kollaborativ zu arbeiten und als Einheit nach außen zu wirken. Auch wenn wir in Qblue keine formalisierten Partnerschaften aufgebaut haben, sind sehr enge Kontakte entstanden. Wir konnten aktive und konstruktive Dialoge zwischen „Groß“ und „Klein“ initiieren und damit Verbindungen zwischen den Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Bildungsanbietern schaffen. Das gemeinsame Erarbeiten von Kommunikationsstrukturen und das Nachhalten ihrer Umsetzung hat das Team zusammengeschweißt und dezentrales Arbeiten erfolgreich gemacht.
Als neutraler Partner können wir auch über das Projektende hinaus eine vertrauensvolle Basis schaffen und die Schnittstellenfunktion gut ausfüllen. Unsere entwickelte Weiterbildungsplattform wollen wir auf jeden Fall weiterführen. Das kann aktuell nicht mit der gleichen Intensität wie während der Projektlaufzeit erfolgen, aber sie ist weiter online und wir präsentieren sie an geeigneter Stelle in Unternehmen und für Multiplikatoren. Auch das Qblue-Kompetenzmodell wird stetig weiterentwickelt. Aktuell arbeiten wir an den Kompetenzen zu Wasserstoff und Nachhaltigkeit.
Die Erprobung der im Projekt entstandenen luftfahrtspezifischen Schulung konnte bedauerlicherweise nicht mehr im Projektrahmen umgesetzt werden, aber findet als Verstetigungsmaßnahme statt. Wir schauen weiterhin nach passenden Fördermöglichkeiten, um unsere Tools auch anderen Zielgruppen zugänglich zu machen. Auch die Entwicklung von Geschäftsmodellen sind denkbar
Wenn Sie jemand fragen würde, auf welche Tätigkeiten und Ergebnisse Sie besonders stolz sind: Was würden Sie besonders hervorheben?
Besonders stolz bin ich auf unser Projektteam. Wir haben es gemeinsam geschafft, in der kurzen Zeit eine Marke aufzubauen, mit der unsere Zielgruppen konkrete Vorstellungen verbinden. Alle relevanten Akteure wussten: Qblue ist Luftfahrt und hier geht es um die Weiterbildung. Wir haben gezeigt, dass Weiterbildung mehr sein kann als ausschließlich Schulungsraum oder mit einem Zertifikat in der Hand. Ich wünsche mir, dass wir die Plattform „WEITERKOMMEN“ zum Fliegen bringen und dass wir den Qblue-Gedanken noch lange in unserem Netzwerk leben und verankern können. Unsere Learnings stellen wir auch anderen Branchen gern zur Verfügung.
Bildquelle: Qblue | HCAT+ e.V.
Weiterführende Links:
- Website: https://qblue.aero/
- Abschlussbericht: https://www.hcatplus.de/fileadmin/hcat/upload/2024_09_18_FINAL_Qblue_Visionspapier_2024.pdf
- Podcast WeiterBlick: https://open.spotify.com/show/3zRWGvSFb7I8AApXSk1hcV?si=fe8248adc7294afc
- Qblue Reels und Projektfilm (Playlist): https://www.youtube.com/watch?v=w1_jt37ogdc&list=PLkDNq1YD4CFiIyn8yJ1dCo6ObL-0uSrtZ