Der Ausbau der Erneuerbaren Energien geht nur langsam voran. Ein wesentlicher Grund: der Fachkräftemangel. In welchen Bereichen ist der Bedarf besonders groß? Und wie lässt sich dem begegnen?
„Ohne Hände keine Wende“: unter dem akronymisierten Hashtag #OHKW versammeln sich derzeit eine Vielzahl von Start-Ups, Bildungsträgern, Energieversorgen und Unternehmen, um über eine Onlineplattform Schulungen für Fachkräfte im Bereich der Energiewende zu vermitteln. Als „Umsetzungsallianz“ für mehr Begeisterung von insbesondere jungen Menschen für Klimaberufe versteht sich auch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „10.000 Tage“. Die Initiatoren wollen in einer Reihe von Experimentierräumen verschiedenste gesellschaftliche Akteure zusammenbringen und Fachkräfte für eine klimapositive Gesellschaft mobilisieren.
Dies sind nur zwei aktuelle Initiativen, welche dem Fachkräftemangel im Bereich des Ausbaus der Erneuerbaren Energien (EE) proaktiv begegnen wollen und aufzeigen, dass hier Handlungsbedarf herrscht.
Fachkräftemangel besonders in für den Ausbau der EE relevanten Berufsfeldern eklatant
Um die 2021 reformulierten Klimaziele zu erreichen und den Ausbau regenerativer Energieerzeugung zu beschleunigen, benötigt es neben gesetzlichen Rahmenbedingungen und Gestaltungswillen notwendigerweise auch Handwerker:innen, welche die Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen anschließen und installieren. Besonders in den dafür relevanten Berufsfeldern herrscht allerdings besonders großer Fachkräftemangel: Wie das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) unlängst veröffentlichte, gab es in der Bauelektrik im Jahr 2022 21.549 offene Stellen, im Bereich Sanitär-Heizung und Klimatechnik waren 16.787 Stellen unbesetzt (Malin & Köppen, 2023, S. 4). Allein in diesen für die Energiewende maßgeblichen Handwerksberufen konnten damit 2022 rechnerisch acht von zehn Stellen nicht besetzt werden. Dies betrifft ebenso Gewerke außerhalb des Gebäudesektors: auch für die Montage von Windkraftanlagen und deren beschleunigten Ausbau lässt sich eine Fachkräftelücke identifizieren. Ob Ingenieur:innen in der Standortbestimmung und Planung von Anlagen, deren industrieller Fertigung oder der Montage durch Baufachkräfte aus dem Metall-, Hoch- oder Tiefbau: in 190 Berufen, die für den Ausbau der Solar- und Windenergie relevant sind, fehlten in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt 216.252 Fachkräfte (Koneberg, Jansen & Kutz, 2022, S. 23). Ein Umstand mit dem sich besonders der Weiterbildungsverbund „WeDiKo“ beschäftigt: Mit einem Schwerpunkt im Bereich der Windenergie macht dieser spezifische Weiterbildungsbedarfe sichtbar und unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung bedarfsgerechter Maßnahmen.
Anzahl der Berufe mit „grünem Hintergrund“ steigt stetig an
Dabei spielen besonders Themen der ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit auf dem Arbeitsmarkt schon lange eine zunehmende Rolle. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat ermittelt, dass die Anzahl von Berufen, die einen Klimabezug aufweisen, zwischen 2012 und 2020 um fast 19 Prozent zugenommen hat (Janser, 2019). Die Idee, dass ökologische und soziale Verantwortung im Mittelpunkt einer nachhaltigen Wirtschaft stehen und diese gleichsam in die eigene Erwerbsbiographie implementiert ist, ist längst für viele Arbeitnehmer:innen gelebte Realität.
Nachhaltigkeit auch bei der Berufswahl ein wichtiges Thema
Auch bei der Berufswahl und -bildung zeigt sich, dass das Thema Nachhaltigkeit längst kein Nischendasein mehr darstellt. Das Bewusstsein um die Synergien zwischen sozial-ökonomischer Transformation der Arbeitswelt und den Herausforderungen der Transformation der Industrie hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft, ist elementarer Bestandteil einer Berufsbildung für Nachhaltige Entwicklung (BBNE). So gelten seit 2021 die neuen Standardberufsbildpositionen, welche alle 324 anerkannten Ausbildungsberufe in Deutschland dazu verpflichtet, das Thema Nachhaltigkeit in die duale Ausbildung zu integrieren (Pfeiffer & Weber, S. 2023, S. 15).
Neben der Angleichung des Curriculums um transformationssensible Inhalte, spiegelt sich ein Nachhaltigkeitsbewusstsein weiterhin auch in den Einstellungen der Jugendlichen bei der Berufswahl: vier von fünf Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind der Überzeugung, dass es für eine nachhaltige Entwicklung mehr innovative Unternehmen braucht. Immerhin jede:r Zweite möchte in einem Unternehmen arbeiten, das einen Beitrag für die Gesellschaft leistet (Görtz & Langness, 2022, S. 24 f.).
Synergien von „Angebot und Nachfrage“ nutzen
Führt man diese Befunde zusammen und legt „Angebot und Nachfrage“ eines klima- und nachhaltigkeitsbewussten Arbeitsmarktes übereinander, zeigt sich trotz des konstatierten Fachkräftemangels ein erhellendes Bild. Projekte wie 10.000 Tage oder „Ohne Hände keine Wände“ können progressive Lösungsansätze sein, um sowohl Weiterbildung im Bereich des Ausbaus der EE niedrigschwellig sichtbar zu machen, als auch die gesellschaftliche Relevanz von handwerklichen Berufen für junge Menschen aufzeigen. In Verbindung mit dem Bewusstsein um die Relevanz einer nachhaltigen Berufs- und Weiterbildungswahl können so Synergien entstehen, die dem hier gezeigten Fachkräftemangel begegnen können.
Literatur
Görtz, R. &. Langness, A. (Hrsg.) (2022): Jugend und Nachhaltigkeit: Was die Next Generation mit Nachhaltigkeit verbindet und wie sie sich engagiert. Bertelsmann Stiftung.
Janser, M. (2019): The greening of jobs: Empirical studies on the relationship between environmental sustainability and the labor market. Dissertation.
Koneberg, F., Jansen, A., Vico, K. (2022): Energie aus Wind und Sonne. Welche Fachkräfte brauchen wir? KOFA, Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung.:
https://www.kofa.de/media/Publikationen/Studien/Solar-und-Windenergie.pdf (letzter Zugriff am 01.08.2023).
Malin, L. & Köppen, R. (2023): KOFA Kompakt – Fachkräftemangel und Ausbildung im Handwerk 5/2023. Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung.
https://www.kofa.de/daten-und-fakten/studien/fachkraeftemangel-und-ausbildung-im-handwerk-2023/ (letzter Zugriff am 1.08.2023).
Pfeiffer, I & Weber, H. (Hrsg.) (2023): Zum Konzept der Nachhaltigkeit in Arbeit, Beruf und Bildung – Stand in Forschung und Praxis.
Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb)