Problem: Generation XYZ und irreführende Stereotype
„Jede Generation hat ihre eigenen Werte, ihre eigene Kultur und ihren eigenen Arbeitsstil“, betont Ralf Overbeck, Unternehmensberater aus NRW. Aus dieser Sicht leistet jede Generation einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens! Aus diesem Grund gilt die Zusammenfassung von Menschen zu Kohorten wie etwa Generation Z häufig als ein irreführender Ansatz für die Unternehmenspraxis. Im Interview betont der Unternehmensberater Ralf Overbeck etwa, dass sich Menschen trotz generationsübergreifender Einflüsse individuell entwickeln und nicht auf bestimmte Ereignisse in der Kindheit und Jugend reduziert werden können. In Betrieben sollten deshalb vielmehr Fragen im Mittelpunkt stehen, wie bestimmte Ereignisse die Menschen in ihrem Denken und Handeln prägen, und nicht, welche generationsspezifischen Ereignisse einen Einfluss hatten.
Im Zuge der Digitalisierung und der Einführung neuer Technologien deutet sich aber an, dass Weiterbildungsentscheidungen in der betrieblichen Realität häufig mit einer unzulässigen Stereotypisierung bezogen auf die Generation der Beschäftigten einhergehen. So wird bei jüngeren Beschäftigten häufig eine hohe Technikaffinität und eine hohe Lernbereitschaft angenommen. Im Gegensatz dazu zeigt sich, dass Beschäftigten ab 50+ Jahren weder eine hohe Technikaffinität noch eine hohe Lernbereitschaft zugetraut wird (u.a. Fouarge et al. 2013; Wotschack, 2017; Warnhoff, 2024). In aktuellen Weiterbildungsstatistiken (BMBF, 2022) gibt es zudem Hinweise darauf, dass die Teilnahme an Weiterbildungen bei jüngeren und älteren Beschäftigten immer noch sehr ungleich verteilt ist.
Sicht der Beschäftigten auf Technik und Lernen
Wenn es um die Einstellung zur digitalen Technik und zur Weiterbildung geht, zeigt sich in Interviews mit Beschäftigten hingegen ein anderes Bild. So sind alle Altersgruppen neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen und lernbereit. Allerdings berichten gerade ältere Beschäftigte darüber, dass sie in den vorherigen Phasen ihres Berufslebens oft nicht in die Entscheidungen für Weiterbildungen einbezogen wurden und sich im Verlauf des Berufslebens Unsicherheiten herausgebildet haben. In Entwicklungsgesprächen zögern ältere Beschäftigtengruppen daher häufig, sich in die betrieblichen Gestaltungsprozesse einzubringen. Auf diese Weise können ältere Beschäftigte jedoch ins Hintertreffen geraten und kaum selbstbestimmt digitale Kompetenzen entwickeln. Hier ist ein ermutigender Führungsstil gefragt, der individuelle Stärken anerkennt und Entwicklungsmöglichkeiten in Gesprächen aufzeigt. Besonders wichtig ist dies für lernungewohnte Beschäftigte (Warnhoff, 2024).
Welche Maßnahmen zum Lernen passend sind, können Beschäftigte oft selbst gut einschätzen. Allerdings wäre eine bessere Strukturierung der Informationen über Weiterbildungen durch die Führungskräfte im Vorfeld hilfreich. Zudem würden zum Thema Digitalisierung in der Arbeit ältere Beschäftigte genauso von einem Erfahrungsaustausch mit Jüngeren profitieren wie umgekehrt. Wichtig ist aber auch anzuerkennen, dass ältere Beschäftigte häufiger von Lernstress betroffen sind und Ängste im Hinblick auf digitale Technologien äußern, weil sie stark von medialen Diskursen geprägt sind, die über negative Effekte durch neue Technologien berichten. Ältere Beschäftigte betonen in Interviews, dass sie nicht den „Anschluss verpassen“ wollen und zeigen deshalb mehr Lernbereitschaft als noch vor ein paar Jahren (Warnhoff, 2024).
In Betrieben fehlen jedoch häufig spezifische Weiterbildungsstrategien für ältere Beschäftigte. Zusätzlich werden ältere Beschäftigte aufgrund von Budgetrestriktionen seltener für Weiterbildungsmaßnahmen ausgewählt als jüngere Beschäftigte. Somit sind Weiterbildungsentscheidungen weniger auf die Motivation einzelner Personen zurückzuführen, sondern eher auf betriebliche Strategien. Auf diese Weise geht dem Betrieb aber auch die Möglichkeit verloren, langjähriges Erfahrungswissen in neue Entwicklungen einzubeziehen. Ältere Beschäftigte sind daher auf ein starkes Engagement der Führungskräfte, der Interessenvertretungen und der Personalverantwortlichen angewiesen, die sich für lernförderliche Arbeitsumgebungen einsetzen (u.a. Wotschack, 2017; Warnhoff, 2024).
Erfahrungswissen anerkennen und Spannungsfelder auflösen!
In Studien zeigt sich, dass Erfahrungswissen für die Arbeit ein zentralen Erfolgsfaktor ist (u.a. Böhle, 2017; Wachholz, 2022). Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnislage wird die Bedeutung in Betrieben zu oft noch ignoriert. Ein Ansatz dem entgegenzuwirken wären zum Beispiel der Einsatz von reflektorischen Gesprächsformaten, so dass auch verborgene Talente der Beschäftigten zum Vorschein kommen. Allerdings beinhaltet dies auch ein Umdenken in der Anerkennungspraxis informell erworbener Kompetenzen. Im Zuge dessen haben sich Tools wie die sog. Kompetenz-Matrix bewährt, die auch Interessen und Fähigkeiten berücksichtigen, die möglicherweise im Privatleben der Beschäftigten liegen. Für solche Gespräche ist allerdings eine vertrauliche Kommunikationskultur wichtig, die einen angstfreien Interessensaustausch ermöglicht und bereits erbrachte Leistungen wertschätzend anerkennt.
Problematisch ist aber auch, dass Spannungsfelder zwischen den Generationen auftreten. Ein Lösungsansatz könnte hier zum Beispiel in altersgemischten Teams liegen. In Workshops oder Feedbackgesprächen wäre deshalb zu reflektieren, wie die Fähigkeiten von erfahrenen und unerfahrenen Beschäftigten besser kombiniert werden könnten. Regelmäßige Formate und Methoden, die den Austausch zum Thema Vielfalt der Generationen fördern, tragen zu einer wertschätzenden Feedback- und Lernkultur in Betrieben bei. Für den Erfahrungsaustausch in altersgemischten Tandems oder Teams müssten Führungskräfte allerdings genügend Freiräume geben und diese Prozesse moderierend unterstützen. Außerdem könnten sich Führungskräfte selbst zum Thema Altersvielfalt weiterbilden.
Praxis: Erfahrungsaustausch zwischen Generationen!
Vor dem Hintergrund alternder Belegschaften und demografischen Entwicklungen in Deutschland scheint ein Umdenken angebracht. Die Altersstruktur in Betrieben ist keineswegs nur eine Herausforderung, sondern hier liegen noch ungenutzte Potenziale.
Übergreifende Ansätze in der Weiterbildung sind erforderlich, die unter dem Stichwort Generationen-Management zusammengefasst sind. Gemeint ist ein Leitbild für Führungskräfte, das die verschiedenen Lebensphasen der Beschäftigten anerkennt und das Zusammenwirken aller Altersgruppen mit ihrem unterschiedlichen Erfahrungswissen mehr als zuvor im Arbeitsalltag berücksichtigt. Es sind sinnstiftende Tätigkeiten für alle Altersgruppen zu entwickeln und ein Arbeitsklima des gegenseitigen Respektes zu etablieren, um so zu einer altersübergreifenden Vertrauenskultur zu gelangen.
Im Rahmen der bundesweit initiierten Weiterbildungsverbünde (WBV) gibt es Hinweise darauf, dass unterschiedliche Generationen am besten voneinander lernen. So präsentierte der erfahrene Erziehungswissenschaftler Dr. Matthias Scharlach auf dem 3. Vernetzungstreffen im November 2023 in Thüringen, dass die Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren Beschäftigten in Betrieben am besten in altersgemischten Teams funktioniert. Personen, die über viel Erfahrungswissen in einem Bereich verfügen, vermitteln ihr Wissen an Personen mit weniger Berufserfahrungen. „Das sei aber keineswegs am Alter festzumachen, sondern an der individuellen Erfahrung der Leute. Deshalb sollten sich die Betriebe fragen, wer kann was von wem lernen und das gemeinsam mit den Personen gestalten“, betonte Scharlach. Auch WBV aus anderen Regionen berichten, dass die Thematik zunehmend auf der Tagesordnung der Betriebe ist und in Dialogformaten vermehrt aufgegriffen wird. In Gesprächen mit Betrieben stellt sich dabei heraus, dass diese noch Unsicherheiten in der Umsetzung eines generationsübergreifenden Ansatzes haben.
Allerdings könnten Betriebe aus einem generationsübergreifenden Ansatz sogar Wettbewerbsvorteile ziehen, weil sie als verantwortungsvolle Arbeitgeber wahrgenommen werden, so Scharlach. Er empfiehlt zunächst neue Zugänge zum Lernen zu schaffen, die keine Stereotypen zementieren und einen Perspektivwechsel beim beruflichen Lernen zulassen. In der Praxis, so berichtet Scharlach, haben sich insbesondere partizipative Methoden in Form von Workshops bewährt, die neue Technologien und Arbeitsweisen thematisieren, aber auch über altersspezifische Kommunikationsstile reflektieren. Die Stärken der verschiedenen Erfahrungsträger:innen könnten so sinnvoll genutzt werden und respektvolle Arbeitsbeziehungen unabhängig vom Alter fördern.
Auf dem Weg zum betrieblichen Generationen-Management bieten die bisherigen Erfahrungen in anderen Betrieben einen guten Orientierungspunkt, das Potenzial aller Beschäftigten weiterzuentwickeln. Gleichzeitig liegt darin ein gesellschaftlicher Beitrag zur altersübergreifenden Teilhabe an der digitalen Transformation der Arbeit für alle Beschäftigtengruppen.
Literatur:
BMBF (2022). Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020. Ergebnisse des Adult Education Survey — AES-Trendbericht. Online abrufbar: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen
/de/bmbf/1/31690_AES-Trendbericht_2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Letzter Zugriff: 23.11.2023).
Böhle, F. (2017). Digitalisierung braucht Erfahrungswissen. Online-Dokument: Denk doch mal nach: https://bibb-dspace.bibb.de/rest/bitstreams/094631f3-4603-45dc-a8e3-360bb9cc0e0f/retrieve (letzter Zugriff: 23.11.2023).
Böhle, F. (2017). Arbeit als Subjektivierendes Handeln. Handlungsfähigkeit bei Unwägbarkeiten und Ungewissheit. Springer VS, Wiebaden.
Fouarge, D., Schils, T., & de Grip, A. (2013). Why do low-educated workers invest less in further training? Applied Economics, 45(18), 2587-2601. https://doi.org/10.1080/00036846.2012.671926.
Wachholz, A. (2022). Der Wert von Erfahrungswissen für komplexe Entscheidungen. In: Zellweger, T., Ohle, P. (Hrsg.) Finanzielle Führung von Familienunternehmen. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38061-8_35.
Warnhoff, K. (2024, in Vorbereitung zum Druck). Lernen im Prozess der Arbeit im Kontext von Industrie 4.0. Springer VS, Wiesbaden.
Wotschack, P. (2017). Unter welchen Bedingungen bilden Betriebe an- und ungelernte Beschäftigte weiter? Zeitschrift für Soziologie, 46(5), 362-380.
Zahlen und Statistiken zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland:
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): https://www.bibb.de/de/1656.php (Letzter Zugriff: 23.11.2023).
Links für die praktische Umsetzung (Toolbox mit Verlinkungen):
https://bildungsklick.de/aus-und-weiterbildung/detail/weiterbildung-hilft-aelteren-mitarbeitenden-digitale-kompetenzen-aufzuholen. (letzter Zugriff: 23.11.2023)
Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), 2017. ISBN: 978-3-88261-221-9, Seiten: 53, Papier, PDF-Datei
Link: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Kooperation/INQA-Altersstereotype.html. (letzter Zugriff: 23.11.2023)
„Alle in eine Schublade? Altersstereotype erkennen und überwinden.“ (Broschüre)
Ralf Overbeck Consulting: https://www.overbeck-consulting.de/personalentwicklung/generationen-erfolgreich-entwickeln (Letzter Zugriff: 23.11.2023).
Anmerkung:
* Bei den Interviews handelt es sich um Grundlagenforschung, die im Rahmen des Promotionsprojektes von Kathleen Warnhoff am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) entstanden sind. Die gesamte Studie trägt den Titel: „Lernen im Prozess der Arbeit im Kontext von Industrie 4.0“ und erscheint in 2024 im Springer Verlag.
Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb)