In einer sich immer schneller wandelnden Arbeitswelt kommt der Erwachsenenbildung und Weiterbildung in den letzten Jahren auch eine immer stärkere Rolle bei der Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftlicher Partizipation zu. Zielgruppenspezifische Zugänge zum Lernen im Betrieb zu schaffen wird dabei eine immer größere Aufgabe. Doch warum ist das so wichtig?

Ungleiche Verteilung von Bildung: Wer hat, dem wird gegeben

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Weiterbildungsteilnahme bestimmten Faktoren unterliegt, die auf eine ungleiche Verteilung der Ressource ‚Weiterbildung‘ schließen lassen.

Das ist keineswegs eine neue Erkenntnis: Die Teilnahme an Weiterbildung erhöhte sich seit dem Ende der 1970er Jahre zwar deutlich (von durchschnittlich 23% im Jahr 1979 auf 60% im Jahr 2020), an der sozialstrukturellen Zusammensetzung hat sich seitdem jedoch wenig verändert (Bremer, 2017; BMBF, 2022). So ist die Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an Weiterbildung bei Personen mit hohem Schulabschluss deutlich höher (2020: 71%) als bei Personen mit mittlerem (60%) oder niedrigem Schulabschluss (44%).

Diese teils erhebliche Diskrepanz der Teilnahmequote lässt sich auch bei weiteren sozialen Merkmalen beobachten. In den Führungsabteilungen ist die Weiterbildungsbeteiligung mit 81% ebenfalls deutlich höher als bei Un- und Angelernten (55%). Gleiches gilt für die Teilnahmequote bei Menschen mit Migrationsgeschichte oder Faktoren wie der sozialen Stellung, dem Beruf und der Branche (BMBF, 2022). Es zeigt sich das sogenannte Matthäusprinzip: „Wer hat, dem wird gegeben“.

Hier findet sich eine der entscheidenden Fragen der Erwachsenenbildung: Wie können möglichst auch die Menschen erreicht werden, denen der Zugang zu Bildung durch soziale und strukturelle Mechanismen erschwert wird?

Durch Lernberatung Verantwortung für den eigenen Lernprozess erhalten

Neben der Anpassung von politischen und strukturellen Rahmenbedingungen zur Steigerung der (Weiter-)Bildungsgerechtigkeit ist ein Aspekt das Bewusstsein und die Aufklärung über bestehende soziale Mechanismen der Selektion im Bildungswesen, die einen Teil der Bevölkerung von der Weiterbildungsteilnahme abhalten.

Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass jeder Mensch eine individuelle Lernbiographie mit sich trägt, die maßgeblich durch soziale Faktoren geprägt wird. Neben den jeweils einzigartigen Veranlagungen einer Person entstehen daraus persönliche Bedeutungen für die eigene Lebenswelt. Davon leiten sich Begründungen für das eigenen Handeln ab, die letztendlich auch für die Teilnahme oder eben Nicht-Teilnahme an Weiterbildung verantwortlich sind.

Nun bleibt zu überlegen, wie für Menschen mit einer eher negativ geprägten Bildungsbiographie trotzdem Zugänge geschaffen werden können, die eine positive Lernerfahrung ermöglichen. Ein Schlüssel dafür ist der Abbau von Barrieren und Zwängen für das Lernen. So sollten individuelle Wege zum Lernen entwickelt werden, die auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der einzelnen Lernenden abgestimmt sind. Diese zielgruppenspezifischen Zugänge zum Lernen können sich auf die Lernmethoden und -inhalte, die Lernumgebung und Formen der Anerkennung und Wertschätzung beziehen.

Zu Beginn einer Weiterbildung kann beispielsweise in einer Lernberatung analysiert und vereinbart werden, welche individuellen realistischen Lernziele gesetzt werden und wie der Lernprozess ablaufen soll. Dadurch kann verhindert werden, dass es durch zu hohe Erwartungen zu selbstgesetzten Barrieren und in der Folge zu Misserfolgen kommt. Trotzdem bleibt die Verantwortung über den eigenen Lernprozess erhalten. Tools, wie Lerntagebücher oder personalisierte Lernprogramme können den Lernenden dabei helfen, Fortschritte im Lernprozess zu erkennen, Erfolge zu feiern oder zu sehen, wo weitere Beratungsbedarfe bestehen

Zur Förderung der Transparenz über den eigenen Lernfortschritt bietet sich auch die Vernetzung in Lerngruppen, Peers oder Netzwerken an. Wichtig ist dabei, regelmäßig die Möglichkeit zur reflektierenden Evaluierung des bisherigen Lernprozesses anzuregen. Dadurch kann erkannt werden, was schon geschafft wurde, was noch offen ist und welche weiteren Schritte ggf. nötig sind, um das Ziel zu erreichen. Zum Abschluss des Lernprozesses bieten kleine selbstgestellte Aufgaben eine gute Möglichkeit, das neu Gelernte anzuwenden und ggf. weitere Handlungsmöglichkeiten abzuleiten oder einfach einen erfolgreichen Lernprozess abzuschließen.

Lernprozessbegleiter:innen müssen keine Fachexpert:innen sein und sollten nach Möglichkeit nicht in einem hierarchischen Verhältnis zu den Lernenden stehen. Sie verfügen über die notwendige Expertise, um den Lernprozess zu begleiten, gezielt Fragen zu stellen und den Lernenden kollegial zur Seite zu stehen. Sie geben Impulse für das selbstgesteuerte Lernen und zeigen Entwicklungspfade auf. Dafür benötigen Sie neben grundlegenden Beratungskompetenzen auch eine reflexive Grundhaltung, die sie für die Lernberatung und -begleitung qualifizieren.

Den Weiterbildungsverbünden könnte zukünftig eine steuernde Rolle bei der Auswahl und Qualifizierung von Lernprozessbegleiter:innen sowie der Sicherung der Qualität der Lernberatung in den Betrieben zukommen.

Zu einer modernen Didaktik gehört jedoch auch, anzuerkennen, dass Lernen immer mit Veränderung verbunden ist, die oft zu Unsicherheiten und Ängsten führt. Deshalb sollten Emotionen wie Ablehnung, Verweigerung oder Wut unbedingt ernst genommen werden. Denn wie oben dargestellt, haben diese in aller Regel andere Ursachen als eine vielleicht schnell angenommene Faulheit oder fehlende Motivation der Person. In letzter Konsequenz sollte jedoch auch die persönliche Entscheidung über die Nicht-Teilnahme an Weiterbildung unter Berücksichtigung eigener Begründungsmuster respektiert werden.

Literatur:

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hg.) (2022). Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020. Ergebnisse des Adult Education Survey – AES-Trendbericht. Berlin. www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/1/31690_AES-Trendbericht_2020.pdf

Bremer, H. (2017). Selektive Weiterbildungsbeteiligung und (Bildungs-)Gerechtigkeit. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 67 (2), S.115-125. https://dx.doi.org/10.3278/HBV1702W

Best Practice/Weiterführende Links:

Ein anschauliches Best-Practice-Beispiel zur digitalen Lernprozessbegleitung aus der Grundbildung:

https://pg.lifetime-learning.de

Die Dokumentation des Projektes „Lernprozessbegleitung in der Grundbildung digital gestalten“ finden Sie :

Dauser, D., Amberg, M., & Schley, T. (2023): Lernprozessbegleitung in der Grundbildung digital gestalten. Der DIGIalpha-Ansatz zur integrierten Förderung von „literacy“ und „digital literacy“. f-bb-online 01/23 in https://www.f-bb.de/fileadmin/user_upload/230330_f-bb-online_LPB_digital_Grundbildung.pdf

Zur neuen Rolle des Ausbildungspersonals bei der Lernbegleitung:

https://www.foraus.de/de/themen/foraus_112385.php

 

 

Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb)