Die Arbeitswelt hat sich verändert und viele Unternehmen haben erkannt, wie wichtig es ist, Diversität und die Anerkennung von Vielfalt im Betrieb zu fördern. In diesem Zusammenhang nimmt die Förderung von Demokratiekompetenzen im Betrieb einen großen Stellenwert ein. Sandro Witt (DGB) ist Projektleiter der Koordinierungsstelle des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Programms „Unsere Arbeit: Unsere Vielfalt. Initiative für betriebliche Demokratiekompetenz“. Mit ihm haben wir darüber gesprochen, wie Demokratiekompetenzen im Betrieb gefördert werden können.

Das Programm „Unsere Arbeit: Unsere Vielfalt“ besteht aus bundesweit 34 geförderten regionalen und branchenbezogenen Projekten. Geschäftsführungen, Beschäftigte, Berufsschüler:innen und Lehrende werden dabei unterstützt, Demokratiekompetenzen weiterzuentwickeln. Ziel ist, dass sie sich in ihren Betrieben und Schulen prodemokratisch engagieren und sich Rassismus und Verschwörungserzählungen entgegenstellen. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf kleinen und mittleren Betrieben. Das DGB-Koordinierungsprojekt steuert das Gesamtprogramm gemeinsam mit dem BMAS.

Damit Demokratiekompetenzen im Unternehmen gelebt und vertieft werden können, braucht es mehr Raum für Diskussionen, sagt Sandro Witt. Denn: „Ein Unternehmen, in dem Mitbestimmung und Beteiligung gelebt wird, in dem ein offener sachlicher Austausch als bereichernd betrachtet wird, wird im laufenden Kampf um Fachkräfte die Nase weit vorne haben.“

forum wbv: Die Initiative für betriebliche Demokratiekompetenzen ist ein sozialpartnerschaftliches Projekt. Welche Organisationen sind im Netzwerk vertreten und nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt?

Sandro Witt: Die im Programm vertretenen Träger, welche mit ihren Projekten die Maßnahmen konzipieren und umsetzen, gehen über die reine sozialpartnerschaftliche Definition hinaus. Das BMAS hatte 2021 einen Aufruf zur Interessenbekundung veröffentlicht und unterschiedliche Träger hatten ihr Interesse bekundet, von der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit über Selbstorganisationen von Migrant:innen bis hin zu arbeitgebernahen und kirchlichen Trägern. Diese wurden dann vom BMAS zur Antragsstellung aufgefordert. Eine Übersicht über alle geförderten Projekte und auch die Kriterien, die das BMAS zur Grundlage der Auswahl gelegt hatte, finden sich auf unserer Webseite.

forum wbv: Warum sind Demokratiekompetenzen im Betrieb so wichtig und warum sind es Ihres Erachtens auch berufliche Handlungskompetenzen?

Sandro Witt: Die Leipziger Autoritarismus-Studien – die meisten kennen diese noch als Mitte-Studien – und weitere wissenschaftliche Untersuchungen kommen immer wieder zu einem deutlichen Ergebnis: Erfahrungen in der Arbeitswelt, in der sich Menschen tagtäglich begegnen und sich nicht so ohne weiteres aus dem Weg gehen können, haben Einfluss auf das gesellschaftliche Geschehen. Wer positive Selbstwirksamkeitserfahrungen macht, ist weniger anfällig für rassistische und weitere abwertenden Einstellungen. Wer negative Erfahrungen macht, gibt auch diese häufig weiter.
Die Tatsache, dass berufliche Handlungskompetenzen sowohl den Beschäftigten als auch den Arbeitgeber:innen nützen, lässt sich auf entsprechende Demokratiekompetenzen übertragen.

forum wbv: Was sind konkrete Demokratiekompetenzen? Was können Beschäftige lernen bzw. trainieren, um diese zu erwerben?

Sandro Witt: Dafür muss ich erstmal eine grundlegende Einordnung machen. Alle Projekte werden auf Betriebsebene bzw. in Berufsschulen umgesetzt, um die arbeitsweltliche Dimension gezielt in den Blick zu nehmen. Dabei stehen vor allem Branchen und Unternehmen im Fokus, die sich im Strukturwandel befinden und durch tiefgreifende Umbrüche gekennzeichnet sind. Deshalb lässt sich dort eine erhöhte Anfälligkeit der Beschäftigten für Beeinflussung durch z. B. rassistische Diskurse befürchten.

Aus unserer Sicht geht es um drei Ebenen von Demokratiekompetenzen, die alle miteinander zu tun haben. Einstellungen und Werte müssen mit Wissen und kritischem Denken in Einklang gebracht werden, damit Anerkennung von Vielfalt und Gleichwertigkeit und entsprechende Kompromissfähigkeit immer wieder neu entstehen können. Konflikt und Dialogfähigkeit kann mit entsprechender Wissensvermittlung ebenfalls immer wieder neu erlernt werden. Darauf aufbauend können praktische Handlungsfertigkeiten erlernt werden.
Ich betone an dieser Stelle, dass 34 geförderte Projektteams im Rahmen dieser erstmaligen Modellförderung seit etwas mehr als einem Jahr Konzepte ausprobieren. Im Kern suchen wir derzeit alle miteinander Methoden, die grundsätzlich alle drei Ebenen im Blick haben und Menschen befähigen, selbstwirksam auf Grundlage der Anerkennung von Vielfalt und Gleichwertigkeit zu agieren und im Konfliktfall Handwerkszeug zur positiven Bearbeitung dieser Konflikte beinhalten.

forum wbv: Inwiefern können die Bildungs- und Beratungsaktivitäten Auswirkungen auf die Unternehmenslernkultur und -struktur haben?

Sandro Witt: Was wir in der Arbeitswelt dringend einführen müssten, sind Demokratiezeiten. Eine immer wiederkehrende Auszeit, in der nicht weitergearbeitet wird, sondern Raum für Diskussionen ist. In der die Menschen die Möglichkeit haben, ohne Stress miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Zeit gibt es derzeit in den meisten Unternehmen nicht. Wenn es einen Betriebsrat gibt, gibt es gesetzliche vorgeschriebene Betriebsversammlungen. Das ist gut und wichtig. Wenn es aber wie so oft keinen Betriebsrat gibt, gibt es nicht mal diesen Austauschzeitraum. Bildungsaktivitäten und Demokratie: wenn diese von den Geschäftsführer:innen und Personalverantwortlichen als positiv betrachtet werden, können Konflikte im Betrieb vorgebeugt oder diese können offen gelegt werden und sie können sogar zu einer Klärung beitragen. Wir alle kennen den Begriff des lebenslangen Lernens. Ein Unternehmen, in dem Mitbestimmung und Beteiligung gelebt wird, in dem ein offener sachlicher Austausch als bereichernd betrachtet wird, wird im laufenden Kampf um Fachkräfte die Nase weit vorne haben.

forum wbv: Wenn Geschäftsführungen oder Betriebs- und Personalräte eine Schulung bzw. Weiterbildung in ihren Betrieben durchführen möchten, an wen können sie sich wenden? Welche Themen werden angeboten?

Sandro Witt: Die Schulungs- und Bildungsangebote sind so vielfältig wie die Trägerlandschaft in unserem Programm selbst. Wer sich anschauen will, welche Angebote es im Rahmen unseres Programms für die jeweilige Zielgruppe gibt, sollte auf unsere Projektlandkarte gehen. Dort sind alle Träger mit ihren Projekten und Angeboten inkl. konkreten Ansprechmöglichkeiten aufgeführt. Zu den angebotenen Themen kann ich abschließend noch mal auf die Ziele insistieren. Es geht immer darum Demokratie in der Arbeitswelt zu stärken und Rassismus und Verschwörungserzählungen Einhalt zu gebieten.

Institut für Forschung, Training und Projekte (IFTP)