Geringqualifizierte in der Weiterbildung

Der in den 1970er Jahren formulierte emanzipatorische Anspruch an die Weiterbildung, Bildungsungleichheiten aus vorgelagerten schulischen und beruflichen Bildungsbereichen zu kompensieren, hat sich bis heute kaum erfüllt. Im Gegenteil, die Berichterstattung zur Weiterbildung zeigt seit Jahrzehnten, dass Bildungsungleichheiten durch Weiterbildung eher verschärft als kompensiert werden und das Bildungsniveau nach wie vor ein zentraler Prädiktor für die Weiterbildungsteilnahme ist (Tippelt 2020). Obgleich Untersuchen belegen, dass auch bei Geringqualifizierten die Anforderungen in der Arbeitswelt steigen (Schöpper-Grabe/Vahlhaus 2019), lag die Weiterbildungsquote unter den Beschäftigten auf Einfacharbeitsplätzen 2021 bei lediglich 6 % (Seibert et al. 2023, 20). Ebenso wenig bestätigt sich die Vermutung, dass im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung einfache Tätigkeiten substituiert werden. Helfertätigkeiten sind im Zeitraum von 2015 bis 2021 um 16 % angestiegen und haben damit überdurchschnittlich zugenommen, Fachkrafttätigkeiten hingegen stiegen in dem Zeitraum lediglich um 5 % an (Seibert et al. 2023, 4).

Als Geringqualifizierte sind jene Personen zu verstehen, die „in Bezug auf ihre konkreten beruflichen Tätigkeitsbereiche zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht oder nicht mehr über die als notwendig erachteten Kompetenzen verfügen“ (Mohajerzad et al. 2022, 569). Diese Definition betont gegenüber dem ausschließlichen Blick auf den formalen Bildungsabschluss die zeitliche und inhaltliche Passung zu den jeweiligen arbeitsmarktrelevanten Anforderungen.

Für Geringqualifizierte ist eine Weiterbildungsteilnahme keineswegs a priori positiv konnotiert. Weiterbildungsbarrieren für Geringqualifizierter sind:

  • die Arbeitsfelder Geringqualifizierter weisen seltener Weiterbildungsangebote auf,
  • Geringqualifizierte schätzen den Nutzen der Weiterbildung geringer ein und sind unsicher, ob sich die Weiterbildungsteilnahme für sie auszahlt,
  • Geringqualifizierte weisen im Vergleich zu höher Qualifizierten eine höhere Abbruchquote bei Weiterbildungsmaßnahmen auf,
  • Probleme bei der Suche nach einem passenden Angebot,
  • fehlende freie Zeiten beispielsweise aufgrund von Kinderbetreuung
  • finanzielle Restriktionen
  • sprachliche Barrieren,
  • unzureichende digitale Ausstattung für die Teilnahme an Online-Bildungsangeboten (Ahrens 2023; Mohajerzad 2022, 571).

Notwendigkeit der Beratung und Arbeitsweltorientierung

Untersuchungen zeigen, dass die Transparenz der Angebote und die Beratungsinfrastruktur für Weiterbildungsinteressierte noch ausbaufähig ist (Reichart 2021). Eine besondere Rolle kommt dabei den Weiterbildungsanbietern hinsichtlich ihrer Adressierung der Zielgruppe zu. Im aktuellen Datenreport zum Berufsbildungsbericht (BIBB 2023, 331) berichten rund 40 % der Weiterbildungsanbieter, Probleme dabei zu haben, ihre potenziellen Zielgruppen zu erreichen. Weiterbildungsanbietern gelingt es bislang nicht hinreichend, die Bedarfe und Interessenlagen der Geringqualifizierten so zu antizipieren, dass passgenaue Angebote mit zielgruppenspezifischen Unterstützungsformen beim Lernen umgesetzt werden. Um passende Angebote für die heterogene Gruppe der Geringqualifizierten zu entwickeln, ist eine stärkere Arbeits- und Lebensweltorientierung ebenso notwendig wie eine niedrigschwellige Beratungsinfrastruktur.

Im Zuge des durch die Corona-Pandemie ausgelösten Digitalisierungsschubs droht allerdings ein weiteres Auseinanderklaffen der Weiterbildungsschere. Aufgrund eingeschränkter Online-Teilhabemöglichkeiten, Sprachbarrieren und vielfach anzutreffender Lernentwöhnung hat das Präsenzlernen für Geringqualifizierte nach wie vor einen hohen Stellenwert. Während bei digitalen Bildungsangeboten das selbstorganisierte Lernen der Teilnehmenden ein wesentlicher Bestandteil ist, sind für den Lernerfolg Geringqualifizierter neben einer festen Ansprechperson das soziale Lernen untereinander wichtig. Bei Online-Kursen fehlen vielfach Möglichkeiten gegenseitiger Unterstützung in Lernprozessen und es besteht gerade für Personen mit Lernschwierigkeiten die Gefahr im virtuellen Raum „zu verschwinden“ und nicht gesehen zu werden. Zudem setzt die Teilnahme an Online-Lernformaten ein Mindestmaß an digitalen Kompetenzen voraus, um die jeweiligen Tools nutzen zu können. An dieser Stelle müssen auch Weiterbildungsanbieter stärker für einen Vorab-Support beim Online-Lernen sensibilisiert werden, denn die Hoffnung, dass durch die zunehmende Verbreitung digitaler Lernangebote bislang unterrepräsentierte Gruppen stärker an Weiterbildung partizipieren, hat sich bislang nicht erfüllt.

Literatur

Ahrens, D. (2023): Haben wir die richtigen Angebote für Geringqualifizierte? Herausforderungen bei der Planung und Weiterentwicklung neuer Weiterbildungsangebote. In: DENK-doch-MAL.de. Online-Magazin (2023/3). https://denk-doch-mal.de/daniela-ahrens-haben-wir-die-richtigen-angebote-fuer-geringqualifizierte-herausforderungen-bei-der-planung-und-weiterentwicklung-neuer-weiterbildungsangebote/

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (Hrsg.) (2023): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2023.

Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn

Mohajerzad, H. et al. (2022): Weiterbildung und Geringqualifizierung in der Digitalisierung – Ein Review zu Kontextfaktoren der Weiterbildungsbeteiligung Geringqualifizierter. ZfW 45, 565–588. https://doi.org/10.1007/s40955-022-00228-4

Reichart, E. (2021): Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen für Weiterbildung. In: Widany, S. et al. (Hrsg.): Trends der Weiterbildung. DIE-Trendanalyse 2021, Bielefeld, 35-66.

Seibert, H. et al. (2023): Aus Hilfskräften Fachkräfte machen. Eine quantitative Analyse der Entwicklungs- und Strukturdaten von Helfertätigkeiten. Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn

Schöpper-Grabe, S./Valhaus, I. (2019): Grundbildung und Weiterbildung für Geringqualifizierte. In: IW-Trends 1/2019, https://www.iwkoeln.de/studien/sigrid-schoepper-grabe-isabel-vahlhaus-ergebnisse-einer-iw-unternehmensbefragung-420981.html

Tippelt, R. (2020): (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit und Weiterbildung: Sozialtheoretischer Abriss und ausgewählte Grundlegungen. In: Schmidt-Hertha, B. et al. (Hrsg.): Lebenslang lernen können. Gesellschaftliche Transformationen als Herausforderung für Bildung und Weiterbildung. Bielefeld, 67-81

 

Dr. Daniela Ahrens

Dr. Daniela Ahrens ist Senior Researcher an der Universität Bremen, Institut Technik und Bildung