Die Anzahl von Lernfabriken an deutschen Hochschulen ist in den letzten 15 Jahren stark angestiegen. Auch die inhaltlichen Ausrichtungen, die didaktischen Konzepte und die Zielgruppen haben sich verändert. In vielen Lernfabriken werden nicht mehr nur Studierende ausgebildet, sondern auch Beschäftigte aus Unternehmen qualifiziert.

Im engeren Sinne sind Lernfabriken Einrichtungen, in denen Lehre und Forschung in einer realitätsnahen Produktionsumgebung stattfindet, ein realer Produktionsprozess vorliegt und ein physisches Produkt hergestellt wird, wobei ein didaktisches Konzept für problem- und handlungsorientiertes Lernen zugrunde liegt (Abele et al. 2017, S. 809).

Die International Association of Learning Factories (IALF) bündelt neueste Entwicklungen und Forschungsergebnisse zu verschiedenen Fragestellungen rund um Lernfabriken. Diese werden auf den jährlich stattfindenden Lernfabrikkonferenzen vorgestellt und veröffentlicht (Procedia Manufacturing).

Lernfabriken – Betreiber, Lerninhalte, Zielgruppen, Qualifikationen

Lernfabriken in der Hochschullandschaft, die den o. a. Kriterien entsprechen, werden fast ausschließlich von den Universitäten und Fachhochschulen selbst betrieben (Sudhoff, 2021). Dementsprechend werden die Lehrveranstaltungen in Lernfabriken von Beschäftigten der Hochschulen durchgeführt.

Die Lerninhalte stammen aus ingenieurwissenschaftlichen Themengebieten, wobei aktuelle technologische Forschungsfragen aufgegriffen werden. Hier geht es vornehmlich um die Verbesserung von Produktionsprozessen, Digitalisierung und Automatisierung, Fabrikplanung, Intralogistik, Robotik und Mensch-Maschine-Schnittstelle, Assistenzsysteme, Ressourceneffizienz und Künstliche Intelligenz. Dabei werden die Produktionsprozessplanung und der direkte Produktionsprozess (Fertigung, Montage, Logistikbereich) vorrangig real abgebildet.

Neben den Studierenden, die vornehmlich aus den jeweiligen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen stammen, werden in Lernfabriken auch Mitarbeiter:innen aus Unternehmen ausgebildet bzw. qualifiziert. Dies sind sowohl Fachkräfte als auch Mitarbeiter:innen aus dem Management/der Geschäftsführung und Unternehmer:innen. Die Praxisanwendung in Weiterbildungsprogrammen für Beschäftigte erfolgt dann überwiegend im Wechsel mit der Vermittlung von theoretischem Wissen mit Hilfe von Demonstrationen, Gruppen- und Partnerarbeiten sowie Instruktionen (Bianchi-Weinand, 2021).

Nur vereinzelt werden über ingenieurwissenschaftliche Themenbereiche hinaus auch betriebswirtschaftliche Bereiche in Lernfabriken abgebildet. Eine Sonderstellung nimmt die Lern- und Forschungsfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme an der Ruhr-Universität Bochum ein, in deren Seminar- und Weiterbildungskonzepten auch betriebs- und organisationssoziologische Inhalte Berücksichtigung finden.

Qualifizierung von Interessenvertreter:innen und Betriebsrät:innen

Die Lern- und Forschungsfabrik (LFF) des Lehrstuhls für Produktionssysteme (LPS) an der Ruhr-Universität Bochum hat die Produktionsstruktur eines mittelständischen Unternehmens nachgebildet. Die Lernenden erfahren hier u.a. Grundlegendes über den aktuellen Stand von Industrie 4.0 sowie Digitalisierung und Robotik, wobei ein didaktisches Begleitkonzept Probleme und Lösungswege simuliert.

In Kooperation mit der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IG Metall werden in der LFF auch betriebliche Interessenvertreter:innen und Betriebsrät:innen qualifiziert. Im Rahmen besonderer Seminarangebote, in denen betriebs- und organisationssoziologische Lerninhalte und proaktive arbeitspolitische Anforderungen mit aktuellen technologischen Entwicklungen bis hin zu Künstlicher Intelligenz kombiniert werden, erleben die Teilnehmenden die Veränderbarkeit von Technik und Organisation in einem geschützten Raum. So erweitern sie ihre arbeitspolitische Handlungskompetenz. Im Rahmen von zahlreichen transdisziplinären Verbundprojekten hat die Lern- und Forschungsfabrik des LPS an der Ruhr-Universität Bochum in den letzten Jahren eine bedeutsame Rolle gespielt (z. B. Projekt Arbeit und Organisation mit Weiterbildung von über 500 Betriebsratsmitgliedern). Sie hat schließlich auch den Weg für neue Lernorte in der Weiterbildung von Betriebsratsmitgliedern geebnet: aktuelles BMBF-Projekt in Kooperation mit der IG Metall „Etablierung einer nachhaltigen Bildungsberatung und -begleitung durch innerbetriebliche Weiterbildungsmentor:innen“.

Bei Weiterbildungsveranstaltungen für Interessensvertretungen kann § 37 Abs. 6 BetrVG geltend gemacht werden. Weiterbildungsprogramme, die in der Bochumer Lern- und Forschungsfabrik stattfinden, werden auch über das Mittelstand-Digital Zentrum Ländliche Regionen realisiert und von Weiterbildungsinstitutionen angeboten (z. B. Akademie für Mitbestimmung/Akademie der RUB, IWEX).


©Lehrstuhl für Produktionssysteme, RUB

 


©Lehrstuhl für Produktionssysteme, RUB

 

Literatur

Abele, E., Chryssolouris, G., Sihn, W., Metternich, J., ElMaraghy, H., Seliger et al. (2017). Learning factories for future oriented research and education in manufacturing. In CIRP Annals, 66(2), pp. 803–826.

Sudhoff, M. (2021). Lernfabriken an Hochschulen. Bestandsaufnahme. In R. G. Heinze, D. Kreimeier & M. Wannöffel (Hrsg.), Lernfabriken an Hochschulen. Neue Lernorte auf dem Vormarsch? Bestandsaufnahme, Curriculare Ausrichtungen, Transferkanäle. Study 456 der Hans-Böckler-Stiftung (S. 16-37).

Bianchi-Weinand, A. (2021). Curriculare Ausrichtungen der Lernfabriken an Hochschulen. In R. G. Heinze, D. Kreimeier & M. Wannöffel (Hrsg.), Lernfabriken an Hochschulen. Neue Lernorte auf dem Vormarsch? Bestandsaufnahme, Curriculare Ausrichtungen, Transferkanäle. Study 456 der Hans-Böckler-Stiftung (S. 38-78).

Abele, E., Metternich, J. & Tisch, M. (2019). Learning Factories. Concepts, Guidelines, Best-Practice Examples, Springer.

 

Andrea Bianchi-Weinand und Prof. Dr. Manfred Wannöffel,
Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Wannöffel ist Geschäftsführer der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM (Ruhr-Universität-Bochum und IG Metall) und Hochschullehrer an den Fakultäten für Maschinenbau und Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB).

Andrea Bianchi-Weinand ist Wissenschaftskoordinatorin der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM.

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