In der Interviewserie, die das forum wbv mit Weiterbildungsverbünden führt, werden die Erfahrungen der WBV in ihrer Arbeit sichtbar. Interviewt wurden hier der Weiterbildungsverbund PEP 4.0 – Personalentwicklung Pflege und der Weiterbildungsverbund Osnabrück. PEP 4.0 setzt seinen Schwerpunkt auf die Pflege, wobei er nicht nur die stationäre und ambulante Pflege adressiert, sondern auch pflegende Angehörige einbezieht. Der WBV Osnabrück setzt sich aus zwei Weiterbildungsverbünden zusammen: dem Weiterbildungsverbund Gesundheit und dem Weiterbildungsverbund Agrartechnik. Der Weiterbildungsverbund Gesundheit legt einen besonderen Schwerpunkt auf die professionelle Pflege (Fach- und Führungskräfte), als die größte Berufsgruppe im deutschen Gesundheitssystem.

 

forum wbv: Sie sind als Weiterbildungsverbund u. a. in der Gesundheits- bzw. in der Pflegebranche aktiv. Können Sie uns die Situation dieser Branche in ihrer Region vorstellen?

Weiterbildungsverbund Osnabrück: Die derzeitige Situation der Branche lässt sich wie folgt beschreiben: Eine zunehmende Nachfrage nach Pflegeleistungen ergibt sich u. a. aus dem steigenden Bevölkerungsalter. Zudem stagniert derzeit die Anzahl des Pflegefachpersonals aufgrund des demographischen Wandels, Personalfluktuationen und aufgrund unbesetzter Ausbildungsplätze. Diese Entwicklungen bergen Risiken wie Bettensperrungen, Schließungen von Stationen oder ganzen Pflegediensten.
Der demografische Wandel führt auch zu einer Alterung der pflegenden Angehörigen, was wiederum zum Fehlen von Angehörigen führt, die informelle Pflegeleistungen übernehmen. Dieser sich andeutende Mangel könnte wiederum mit einem Anstieg des Bedarfs von ambulanten und stationären Versorgungsleistungen einhergehen.
Weitere Entwicklungslinien in der Pflegebranche sind eine zunehmende Digitalisierung von Geschäftsprozessen sowie eine Ausdifferenzierung der Qualifikationen in der beruflichen Pflegearbeit.
Einrichtungen der ambulanten und stationären Versorgung in der Region Osnabrück sehen sich einem zuspitzendem Fachkräfteengpass ausgesetzt. Als Reaktion auf die beschriebene Situation wird in der Region einrichtungsübergreifend in die Rekrutierung ausländischer Pflegefachpersonen sowie die Imageförderung des Pflegeberufs investiert.

Weiterbildungsverbund PEP 4.0 – Personalentwicklung Pflege: Unsere ausgewählte Region ist die Metropolregion Ruhr, die in Deutschland die bevölkerungsreichste Region darstellt. Somit gibt es hier auch die meisten Menschen in Deutschland, die auf eine pflegerische Versorgung angewiesen sind. Das wird auch in den stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen deutlich: Eine Konkurrenz in Bezug auf pflegebedürftige Personen besteht nicht, sondern eine in Bezug auf geeignete Pflegefachkräfte. Die Nachfrage übersteigt das Angebot sogar dermaßen, dass zusätzlich die Angehörigenpflege einen wichtigen Faktor für eine gesicherte Pflegeversorgung darstellt. Daher beziehen wir in unserem Projekt auch diese Zielgruppe mit ein.

 

forum wbv: Können Sie bitte anhand eines Beispiels darstellen, wie Sie die Zugänge zu den Unternehmen gestalten? Welche Akteure nehmen dabei eine Brückenfunktion ein?

Weiterbildungsverbund Osnabrück: Eine Brückenfunktion bei dem Zugang zu Unternehmen übernimmt im Weiterbildungsverbund Gesundheit das Kompetenzzentrum Gesundheitswirtschaft GewiNet. GewiNet ist ein Branchennetzwerk mit diversen Mitgliedern aus dem ambulanten und stationären Versorgungssektor.
Mit dem Aufbau des Weiterbildungsverbundes wurden Kooperationsverträge zwischen dem GesundheitsCampus Osnabrück sowie regionalen Partnern der Gesundheitswirtschaft geschlossen. Die Partnerstruktur setzt sich aus Verbünden, Einrichtungen der Maximalversorgung[1] und Bildungsträgern zusammen. In regelmäßigen Projekttreffen mit den kooperierenden Verbundpartnern werden der Status Quo im Projekt und die strategische Ausrichtung des Verbundes besprochen. Neben den Verbundpartnern werden über gemeinsame Veranstaltungen, Weiterbildungsangebote und Konzepte zur Kompetenzentwicklung mittels Simulationsszenarien sowie über Podcasts auch weitere regionale und überregionale Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft angesprochen.

Weiterbildungsverbund PEP 4.0 – Personalentwicklung Pflege: Wir befinden uns jetzt in der Phase, wo wir verstärkt auf Unternehmen zugehen, da wir nun sogenannte Live Sessions zu verschiedenen Themen in der Pflege anbieten. Diese beziehen sich u. a. auf den Selbstschutz bei der Pflegetätigkeit und dem Wandel der Pflege durch digitale Angebote, bspw. durch digitale Lernangebote oder digitale Unterstützungen. Diese bieten die Chance mehr Entlastung im Pflegealltag zu ermöglichen sowie die Lebensqualität, sowohl der pflegenden Personen als auch der Pflegebedürftigen, zu steigern. Außerdem betrachten wir dort neue Wege der Gestaltung des Arbeitsumfeldes Pflege und des Recruitings von neuen Mitarbeitenden, auch angepasst an deren Alter (Stichwort Generation Z). Der Zugang auf die Unternehmen wird vor allem über bereits bestehende Kontakte aus unserem Projektkonsortium heraus, aber auch über Öffentlichkeitsarbeit wie Social Media, unserer Internetseite und Newslettern geschaffen.

forum wbv: Welche Bedarfe melden die Unternehmen bzw. die betrieblichen Akteure?

Weiterbildungsverbund Osnabrück: Um die Aktivitäten des Weiterbildungsverbunds Gesundheit auf die Bedarfe der regionalen Gesundheitswirtschaft auszurichten, wurden zum Projektbeginn Interviews geführt. Die Interviews richteten sich an das obere und mittlere Management der Kooperationspartner sowie von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus der Gesundheitsbranche. Dabei wurde der Mehrwert thematisiert, der sich aus der Perspektive der Interviewteilnehmenden aus dem Verbund ergeben soll. Es stellte sich heraus, dass sich in puncto Weiterbildung die Bedarfe kleiner Pflegedienste deutlich von denen der großen Kliniken oder Wohlfahrtsorganisationen unterscheiden. Dies liegt daran, dass größere Kliniken und Wohlfahrtsorganisationen oft selbst als Weiterbildungsträger auf dem Markt auftreten. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sehen sich jedoch größere Kliniken und Organisationen gleichermaßen wie KMU mit Fragen zur Zukunft der Patientenversorgung, zu Lerntrends sowie der digitalen Transformation konfrontiert. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse möchten wir den Weiterbildungsverbund Gesundheit vor allem als Know-how-Geber und Innovationstreiber für diese verbindenden Themen etablieren.

Weiterbildungsverbund PEP 4.0 – Personalentwicklung Pflege: Die Bedarfe beziehen sich vor allem auf die tägliche Pflegearbeit: Umgang mit Gewalt und generellen Konflikten in der Pflege, Stärkung von mentaler Gesundheit, wertschätzende Führung sowie die Planung von zeitlichen Ressourcen. Die Bedarfe haben wir im Vorgängerprojekt mit den damaligen Projektpartnern aus der Pflege erhoben. Wir haben dabei Gespräche mit den Geschäftsleitungen und Qualifizierungsbedarfsanalysen (QBA) mit den Mitarbeitenden durchgeführt. Daran anschließend haben wir in unserem jetzigen Projekt Umfragen mit weiteren Unternehmen geführt, um die vorher in den Pflegeeinrichtungen erhobenen Bedarfe noch einmal zu bestätigen und auf ihre Wichtigkeit zu kategorisieren.

 

forum wbv: An welchen Stellschrauben sollte gedreht werden, um Weiterbildung in ihrer Branche bzw. Region zu stärken?

Weiterbildungsverbund Osnabrück: Als Know-how-Geber informiert der Weiterbildungsverbund Gesundheit über gegenwärtige und zukünftige Entwicklungsbedarfe von Organisationen der Gesundheitswirtschaft. Eng damit verbunden sind die künftigen Kompetenzanforderungen und -entwicklungsbedarfe von Beschäftigten (Future Skills). Informationen zur zukunftsgerechten Qualifizierung in der Gesundheitswirtschaft werden der Öffentlichkeit ab November 2023 in der Podcast Serie „New Learning im Gesundheitswesen“ zur Verfügung gestellt. Zudem wird eine weitere Serie zum Thema „New Work im Gesundheitswesen“ veröffentlicht.
Folgende Stellschrauben wurden im Weiterbildungsverbund Gesundheit identifiziert, um die Weiterbildung in der regionalen Gesundheitswirtschaft zu stärken:

  • Förderung von Rahmenbedingungen zur Stärkung des innerbetrieblichen Lernens: u .a. durch Lernzeiten und -räume (digital und analog) sowie durch die Qualifizierung von Praxisexpert:innen zu pädagogischen und didaktischen Themen;
  • Stärkung der Kompetenzentwicklung durch Simulationen realitätsnaher Praxissituationen sowie begleitendes Coaching in der Ausübung komplexer Handlungen;
  • Recherche, Strategieentwicklung und gemeinsame Umsetzung von Weiterbildungsangeboten entsprechend der identifizierten Future Skills;
  • Nutzung von Spielräumen für New Work und New Learning in den Einrichtungen.

Weiterbildungsverbund PEP 4.0 – Personalentwicklung Pflege: Die Notwendigkeit zur Weiterbildung ist in der Pflege sehr hoch und zum Teil in Form von Pflichtfortbildungen vorgeschrieben. Wir sehen aktuell, wie das den Druck auf die ohnehin schon überlasteten Mitarbeitenden noch erhöht. Daher sollte man versuchen, Weiterbildungen an die Zielgruppe anzupassen, in diesem Fall zeitlich unabhängig zu gestalten. Genau das versuchen wir mit den von uns momentan erstellten E-Learnings, die jederzeit absolviert und sogar zwischenzeitlich unterbrochen und zum späteren Zeitpunkt weitergeführt werden können. Weiterbildung muss sich an die Pflege anpassen und nicht umgekehrt. Generell ist die Attraktivitätssteigerung der Pflege wichtig, wobei an diversen Stellschrauben gedreht werden müsste. Dies wird durch Unternehmensverbände und Gewerkschaften auch in gewisser Weise versucht, allerdings nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Das Gleiche gilt für die Politik. In der Hochphase der Coronapandemie wurde der Profession Pflege viel versprochen, vieles davon ist aber wieder in Vergessenheit geraten. Die Pflegearbeit müsste attraktiver gestaltet werden, um fehlende Fachkräfte zu gewinnen. Akquirierte Fachkräfte aus dem Ausland müssten auch in ihrem täglichen Leben in Deutschland intensiv unterstützt und betreut werden. Dafür fehlen aber oft die Strukturen und die Ressourcen. Nur die Steigerung der Löhne, wie es oftmals kommuniziert wird, reicht dabei nicht aus.

[1] Einrichtungen der Maximalversorgung müssen über eine technische und personelle Ausstattung verfügen, die eine Behandlung nach den höchsten Anforderungen erlaubt.

Institut für Forschung, Training und Projekte (IFTP)